Wort und Bild-Gottesdienst

f9abe31d-27aa-4d6b-8b39-70871f5a2bda (Foto: Yvonne Iseli)
Im Gottesdienst vom 16. Februar haben Pfarrerin Sara Stöcklin und Künstlerin Yvonne Iseli gemeinsam das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg interpretiert - mit Wort und Bild.
Sara Stöcklin,
Obwohl die Arbeiter in der Geschichte unterschiedlich lange gearbeitet haben, werden sie gleich entlöhnt. Das Bild macht sichtbar, dass die Gerechtigkeit dabei nicht auf der Strecke bleibt, sondern aus einer ganz anderen Richtung kommt, als wir es gewohnt sind.

Mit der Sonnenuhr nimmt die Künstlerin gleichzeitig etwas der St. Arbogast-Kirche auf und deutet den Tagesablauf in der Geschichte an. Das Wort Iustitia bedeutet Gerechtigkeit, das Wort Gratia bedeutet Gnade. Die schräge Linie rechts oben symbolisiert das Gefühl von Ungerechtigkeit im Gleichnis, der leuchtende Strahl steht für die Gerechtigkeit Gottes, die quer zu unserem Denken steht.

Das Bild steht noch bis Ende Februar im Pfarrhaus Dorf zur Ansicht. Kommen Sie zum Mittagsclub am Donnerstag, wenn Sie es betrachten möchten!

Bibeltext zur Wort-und-Bild-Predigt: Matthäus 20,1-16

Predigt, Teil 1
Der Wecker klingelt. Ich muss mich zusammenreissen, die lähmende Müdigkeit überwinden. Während ich aufstehe, spüre ich jeden Knochen von dem anstrengenden Einsatz gestern. Weiter geht’s. Ich ziehe die Arbeitskleidung an, werfe einen Blick ins Kinderzimmer und mache mich aus dem Haus, es ist noch dunkel. Aber wer nicht früh genug auf dem Platz ist, ist selber Schuld, wenn er einen Auftrag verpasst. Dass ich umsonst so früh hingehe, das habe ich nicht zu befürchten. Es kommt selten vor. Ich meine: Man sieht mir ja an, dass ich arbeiten kann. Und wer mir schon mal einen Auftrag gegeben hat, der weiss, dass ich durchziehe, bei Wind und Wetter. Ich bin meinen Lohn schon wert. Und ja, es macht mich stolz, dass ich dadurch meine Familie versorgen kann, dass ich jeden Tag meinen Lohn heimbringe, während da draussen die Arbeitslosigkeit grassiert. Es sind schon keine rosigen Zeiten gerade, aber ich verdiene genug, um das Haus in Schuss zu halten, um dafür zu sorgen, dass die Kinder Kleider und Essen haben. Sie haben alles, was sie brauchen.
Es stehen schon einige andere auf dem Platz, als ich ankomme, viele kenne ich. Wir warten in der Kälte. Einige rauchen, ich brauche das nicht. Der erste Auftraggeber kommt, er ist bekannt dafür, die Arbeiter schlecht zu behandeln. Ich zögere, aber ich brauche ja ein Job. Uff, er hat andere auswählt, jetzt bin ich doch erleichtert. Gleich danach kommt der nächste Auftraggeber. Er mustert uns nicht lange, sondern zeigt auf mich und drei andere und bedeutet uns, zu ihm zu kommen. Er fragt uns nach unseren Lohnvorstellungen, wir einigen uns rasch auf ein Silberstück für den Arbeitstag. Wir folgen ihm, während die Sonne aufgeht und es warm wird. Der Rebberg ist gross, wir werden eingeteilt und machen uns rasch an die Arbeit. Nach ein paar Stunden kommt noch eine Gruppe Arbeiter dazu, sie beginnen am anderen Ende. Am Mittag brennt die Sonne gnadenlos herab, der Chef erlaubt uns eine kurze Pause im Schatten. Als wir zurück an die Arbeit gehen, sehen wir, dass inzwischen noch weitere Arbeiter gekommen sind. «Das ist gut», meint der Tagelöhner neben mir. «Wir kommen nicht schnell genug vorwärts, und morgen kippt das Wetter.» Trotz der Verstärkung lassen wir nicht nach mit dem Tempo. Wir sind uns nicht zu schade für die harte Arbeit. Am späten Nachmittag merken wir, dass wir das besprochene Ziel trotzdem nicht erreichen werden. Der Vorarbeiter sieht ein, dass er den Aufwand unterschätzt hat. Er bespricht sich mit dem Chef, und dieser geht noch einmal zusätzliche Leute holen für die letzte, intensive Schicht.
Als die Sonne untergeht, packen wir zusammen und gehen zum Büro. Irritiert stellen wir fest, dass die Arbeiter, die für die letzte Schicht gekommen sind, bereits ihren Lohn abgeholt haben, im Moment stehen diejenigen beim Kassier, die am Mittag gekommen sind. Wir stellen uns in die Reihe. Als einer der Mittagsschicht herauskommt, ich kenne ihn von irgendwo her, haue ich ihn an. «Sorry, darf ich fragen, wie viel du bekommen hast?» «Ein Silberstück», sagt er. «Im Ernst jetzt?» frage ich. Er antwortet: «Sogar die von der letzten Schicht haben das bekommen. Frag mich nicht!» Als wir – als letztes – an die Reihe kommen, sehe ich den Auftraggeber hinter dem Kassier stehen. Ich warte ab, hoffe, dass wir einen Bonus bekommen. Als der Kassier uns je ein Silberstück aushändigt, steigt die Wut in mir hoch. Der Auftraggeber sieht es mir an. «Was ist dein Problem?» fragt er. «Hatten wir das nicht genauso vereinbart, und ist das etwa kein fairer Lohn?»

Predigt, Teil 2
Seit Stunden stehe ich am Platz. Ich ärgere mich, dass ich nicht ganz so früh da war wie die anderen. Die Unterkunft für die Saisoniers war letzte Nacht so stark überbelegt, dass ich eine halbe Stunde anstehen musste, nur um mich kurz zu waschen. Auf den Kaffee verzichtete ich, da ich noch einmal so viel Zeit verloren hätte. Gebracht hat es allerdings nichts, dass ich pressiert habe. Es kamen im Verlauf des Tages zwar einige Arbeitgeber, aber für mich hatte wieder mal keiner Bedarf. Es gibt einfach zu viele von uns, und wer eher klein gebaut ist wie ich, wird übersehen. Ich wünschte, sie würden mir öfter eine Chance geben, dann würde ich ihnen beweisen, dass ich ein guter Arbeiter bin.
Die Mittagsstunden vergehen, mir wird eine Zigarette angeboten, die ich dankbar annehme. Selbst kaufe ich schon lange keine mehr. Sonst könnte ich meinem hochbetagten Vater noch weniger Geld heimschicken. Ich habe Angst, was passieren wird, wenn ich diesen Monat wieder nichts überweise. Die junge Frau, die die Pflege übernommen hat, hat schon mehrmals damit gedroht, ihn seinem Schicksal zu überlassen, wenn es so weiter geht.
Mein Magen knurrt und die Hitze wird unerträglich. Einige der anderen Männer geben auf für heute und gehen zurück zur Unterkunft. Ich kann es mir nicht leisten, auch nur die kleinste Chance auf Arbeit zu verpassen. Manchmal kommt kurz vor Feierabend noch ein Auftrag, der mir wenigstens ein Stück Brot zum Abendessen ermöglicht. Und da – es taucht tatsächlich ein Auftraggeber auf und bedeutet mir und ein paar anderen, ihm zu folgen. Gott sei Dank, noch eine Stunde kann ich arbeiten! Ich frage nicht nach dem Lohn, ich weiss, dass ich nicht viel zu erwarten habe.
Wir kommen beim Weinberg an und erhalten unsere Anweisungen. Ich sehe die erschöpften und schweissgebadeten Arbeiter, die bereits seit dem Morgen schuften. Die Arbeit ist hart, aber ich gebe mir Mühe, packe an, um noch möglichst weit zu kommen in der kurzen Zeit bis zum Sonnenuntergang. Meine Gedanken sind bei meinem Vater.
Als der Vorarbeiter sagt, dass wir aufhören sollen, bin ich gleichzeitig enttäuscht und erleichtert. Meine Schultern schmerzen. Wir gehen zum Büro, ich bin überrascht, dass wir als erste ausbezahlt werden. Ich rechne mit ein paar Groschen, besser als nichts. Als ich dran bin, drückt der Kassier mir ein Silberstück in die Hand. Ich bin sprachlos, schaue ihn an: Ist es eine Verwechslung? Der Auftraggeber, der hinter ihm steht, nickt mir zu. Es ist in Ordnung. Ich erhalte tatsächlich einen ganzen Tageslohn. Mir wird schwindelig vor Erleichterung, vor Dankbarkeit. Ich werde nicht nur etwas zu Essen haben, sondern auch etwas für meinen Vater heimschicken können.
Auf dem Weg nach draussen sehe ich die anderen, die schon seit dem Morgen arbeiten, mit irritierten Gesichtern. Einer von ihnen ruft dem Auftraggeber etwas zu, aber ich verstehe nicht, was.
Muss ich mich schuldig fühlen? Der Blick des Auftraggebers entlastet mich. Ich habe getan, was ich konnte. Und ich brauche diesen Lohn. Also lasse ich ihn mir nicht madig machen.

Predigt, Teil 3
Ist das Gerechtigkeit? Ist das fair, Chef? Seit Jahren bin ich nun in deinem Dienst, als Kassier, und wundere mich immer wieder neu über dein Verhalten. Seit klein auf lerne ich: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Wer mehr leistet, soll auch mehr bekommen. Natürlich ist dieses Prinzip in der Praxis manchmal schwer umzusetzen. Welche Arbeit zählt mehr, die Kopfarbeit, für die man lange studieren muss, oder die Körperarbeit, die am anstrengendsten ist? Und sollten nicht auch Alter und Erfahrung zählen?
Was Gerechtigkeit im Detail heisst, darüber streiten sich die Philosophen, ich weiss. Aber dass die gleiche Arbeit von gleichen Männern gleich bezahlt werden sollte, das ist doch wohl logisch. Man braucht nicht zu studieren, um das zu wissen. Warum sperrst du dich dagegen?
Du bezahlst sie ja gleich, sagst du – ja, haha, guter Witz. Jetzt mal im Ernst: warum behandelst du die Menschen nicht gleich? Das ist doch ungerecht. Stell dir eine Waage vor. Wenn du die Arbeiter anders behandelst, entsteht ein Ungleichgewicht. Die Balance stimmt nicht mehr, der Strich hier müsste grad sein. (auf dem Bild zeigen)
Was denn Gerechtigkeit heisst, fragst du?
Ob es gerecht wäre, wenn alle Menschen einen schlechten Lohn erhalten würden, Hauptsache sie erhalten alle genau gleich wenig?
Oder umgekehrt: Wenn einer unter ihnen eine Villa und einen Swimmingpool bekommt für seine Arbeit, ist dann die Welt so lange ungerecht, bis alle von ihnen eine Villa und einen Swimmingpool bekommen?
Natürlich nicht, Chef. Gerechtigkeit heisst nicht Gleichheit, zumindest nicht nur. Aber jeder soll doch kriegen, was er verdient für seine Leistung!
Was das heisst, das jeder kriegen soll, was er verdient, fragst du?
Wenn da ein Mensch ist, sagst du, der körperlich und psychisch gesund ist, der intelligent und begabt ist, der eine Familie hat, die ihn unterstützt – und auf der anderen Seite ein Mensch, der in seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten eingeschränkt ist, der in schwierigen Umständen lebt, der keine Unterstützung hat – ist es dann gerecht, fragst du, die Leistung dieser beiden Menschen gleich zu werten?
Ja gut, Chef, ich sehe ein, dass es eine komplexe Sache ist mit dieser Gerechtigkeit. Aber es muss doch irgendeinen Massstab geben? Was heisst denn für dich Gerechtigkeit, wenn es nicht heisst, Menschen gleich zu behandeln, und auch nicht heisst, jedem das zu geben, was er verdient?
Du fragst, wie viel sie denn bekommen haben, die Arbeiter heute?
Ein Silberstück haben sie bekommen. Das ist etwa so viel – so viel, wie sie brauchen.